Antwort
Die Frage, ob es im Rahmen der Wohlverhaltensphase (Restschuldbefreiungsphase) sinnvoll ist, eine selbständige Tätigkeit (auch im Nebenerwerb) aufzunehmen oder doch nicht, ist abhängig von den rechtlichen Gegebenheiten und der jeweiligen Tätigkeit und den rechtlichen Grundlagen aufgrund der angeordneten Betreuung. Im Folgenden soll einerseits auf die rechtlichen Grundlagen nach der Insolvenzordnung bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit eingegangen werden als auch auf Fragen, die sich aus dem Betreuungsverhältnis ergeben.
Zunächst werden die insolvenzrechtlichen Regelungen bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit dargestellt. Sie können im Rahmen der Restschuldbefreiungsphase (Wohlverhaltensperiode) jederzeit eine selbständige Tätigkeit, egal ob im Nebenerwerb oder als hauptberufliche Tätigkeit, aufnehmen. Sie brauchen hierzu auch keine „Genehmigung“ (Freigabe) durch die Treuhänderin oder den Treuhänder. Allerdings sind Sie verpflichtet, die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit unverzüglich dem Treuhänder mitzuteilen.
Der Treuhänder hat aktuell gegenüber Ihrer Arbeitgeberin bzw. Ihrem Arbeitgeber oder dem Leistungsträger eine Abtretung offengelegt, die Sie bei der Antragstellung unterschrieben haben. Aufgrund der Abtretungserklärung führen Ihr/Ihre Drittschuldner den jeweils pfändbaren Betrag an die Treuhänderin oder den Treuhänder ab. Die Berechnung des pfändbaren Betrags und Überweisung übernimmt der Drittschuldner.
Bei einer selbständigen Tätigkeit ist dieses standardisierte Verfahren so nicht möglich. Im Fall einer selbständigen Tätigkeit wären sie selbst verpflichtet, den pfändbaren Anteil an Ihrem Einkommen zu ermitteln und dem Treuhänder zu überweisen. Dies würde auch gelten, wenn Sie weiterhin noch ergänzend abhängig beschäftigt wären.
Sind Sie selbständig Tätig, auch nur im Nebenerwerb, ist nicht Ihr „Unternehmerlohn“ für die Bestimmung des pfändbaren Betrages maßgeblich, sondern Ihr „fiktives“ Einkommen, welches Sie als Angestellter in Vollzeit – aufgrund Ihrer beruflichen Qualifikation und Erfahrung ¬ verdienen könnten.
Haben Sie Ihr mögliches Bruttoeinkommen ermittelt, müssen Sie davon die Steuern und Sozialversicherungsanteile abziehen, um das „fiktive“ Nettoeinkommen zu ermitteln. Anhand der Pfändungstabelle können Sie dann den pfändbaren Betrag (Abführbetrag an den Treuhänder) feststellen. Sind Sie sich nicht sicher, ob die Berechnung stimmt, können Sie beim Gericht den errechneten Betrag überprüfen lassen.
An einem Beispiel soll dies verdeutlicht werden: Sie kommen zum Ergebnis, dass Sie in einem Angestelltenverhältnis in Vollzeit 2.500 Euro brutto verdienen könnten. Nach Abzug von Steuern und Sozialversicherung entspräche dies, bei Lohnsteuerklasse I, als nicht verheiratet, einem Nettoeinkommen von ca. 1.725 Euro. Laut aktueller Pfändungstabelle wäre bei einer alleinstehenden Person, die keine Unterhaltsverpflichtungen hat, 334,15 Euro pfändbar. Diesen Betrag müssten Sie dann an die Treuhänderin oder den Treuhänder monatlich überweisen.
Bei der Analyse der Situation und Ermittlung des pfändbaren Betrages sind Ihnen anerkannte Insolvenzberatungsstellen von Kommunen und Trägern der freien Wohlfahrtspflege, wie z. B. AWO, Caritas, Diakonie, Paritätischer Wohlfahrtsverband, DRK und Verbraucherzentralen behilflich. Diese Beratung ist kostenfrei.
Neben der insolvenzrechtlichen Beurteilung ist in Ihrem Fall auch die Frage von Bedeutung, welche Auswirkungen die angeordnete Vermögenssorge auf die selbständige Tätigkeit hat. Bei einer angeordneten Vermögenssorge – ohne Einwilligungsvorbehalt – sind Sie weiterhin voll geschäftsfähig. Ihr/e Betreuer/in hat die Verpflichtung, Ihr vorhandenes Vermögen zu verwalten und zu erhalten. Dies umfasst u. a. auch das Verwalten von Einkünften, Konten und sonstiger vermögensrechtlicher Ansprüche.
Hat Ihre Bank oder haben die Auftraggeberinnen und die Auftraggeber, Kundinnen und Kunden etc. Kenntnis von der Vermögenssorge, so tritt Ihre Betreuein oder Ihr Betreuer – trotz der Geschäftsfähigkeit – in Ihre Geschäfte ein. Damit unterliegen diese Geschäfte grundsätzlich der Einwilligung bzw. Genehmigung (§ 53 ZPO). Somit sind die Rechtsgeschäfte, die Sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit abschließen, zunächst schwebend unwirksam bis der/die Betreuer/in oder ggf. auch das Vormundschaftsgericht, bei bestimmten Vermögensangelegenheiten, einwilligt bzw. genehmigt.
Daher stellt die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Rahmen einer Vermögenssorge für alle Beteiligten eine Herausforderung dar. Für Sie, da Sie sich ggf. die Geschäfte genehmigen lassen müssen. Für den/die Betreuer/in, weil diese/r ggf. Ihre selbständige Tätigkeit „überwacht“. Darüber hinaus muss sie oder er prüfen, ob bei bestimmten Rechtsgeschäften (Eingehen von Verträgen, Zahlungsverpflichtungen etc.) ggf. zusätzlich eine Genehmigung beim Vormundschaftsgericht einzuholen ist. Sie dagegen müssen prüfen, ob die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit ausreichen, um mögliche Abführbeträge an den Treuhänder zuverlässig erfüllen zu können.
Wir empfehlen Ihnen, sich aufgrund der Komplexität der Materie durch eine anerkannte Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle beraten zu lassen. Hierbei sollten Sie Ihre/n Betreuer/in mit einbeziehen.
Quelle:
Michael Weinhold
I S K A - Nürnberg
Institut für Soziale und Kulturelle Arbeit (ISKA) gemeinnützige GmbH
Schuldner- und Insolvenzberatung im Auftrag der Stadt Nürnberg und Landkreis
www.iska-nuernberg.de
März 2022
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