Navigation

Beratung, Programmierung und Inbetriebnahme von elektrischen Anlagen: freiberufliche Tätigkeiten?

Frage

Ich möchte gerne neben einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstelle im Nebenerwerb selbständig tätig werden. Das Tätigkeitsfeld wäre zum einen die Beratung, Programmierung und Inbetriebnahme von Gebäudeautomatisierung, wobei die Installation elektrischer Anlagenteile selbst nicht angeboten wird. Zum anderen würde ich gerne kundenspezifische elektronische Hardware und Software entwickeln. Wäre dies als freiberufliche Tätigkeit möglich oder nur als gewerbliche Tätigkeit?

Antwort

Wenn Sie nicht zum Führen der Berufsbezeichnung „Ingenieur“ oder „Diplom-Informatiker“ (oder vergleichbarer Abschlüsse) berechtigt sind, kann eine freiberufliche Tätigkeit im Sinne des Einkommensteuergesetzes vorliegen, wenn Sie einen „ähnlichen Beruf“ ausüben. Dieser ähnliche Beruf muss dem Beruf der Ingeneurin oder des Ingenieurs sowohl in Bezug auf die Berufsausbildung als auch hinsichtlich der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit im Wesentlichen gleichen (Bundesfinanzhof BFH 9.2.06, IV R 27/05, BFH/NV 06, 1270). In diesem Zusammenhang müssen Kenntnisse in sämtlichen Bereichen eines Ingenieurstudiums nachgewiesen werden können. Dabei verlangt der Bundesfinanzhof, „dass der Steuerpflichtige qualifizierte Software durch eine klassische ingenieurmäßige Vorgehensweise (Planung, Konstruktion und Überwachung) entwickelt" (BFH 4.5.04, XI R 9/03, BStBl II 04, 989).

Warum dient hier der Beruf der Ingenieurin und des Ingenieurs als Maßstab? Die Ingenieurin und der Ingenieur ist im Einkommensteuergesetz als freier Beruf genannt („Katalogberuf“) und die Diplom-Informatikerin und der Diplom-Informatiker wird in der Rechtsprechung grundsätzlich hinsichtlich der Ausbildung als gleichwertig behandelt.

Hierzu noch ein anderes Urteil des BFH, Urteil v. 11.07.1991 - IV R 73/90 BStBl 1991 II S. 878
„1. Eine Tätigkeit ist zum Nachweis ingenieurähnlicher Kenntnisse nicht geeignet, wenn sie auch anhand von Formelsammlungen und praktischen Erfahrungen ausgeübt werden kann, selbst wenn sie vielfach auch von Ingenieuren ausgeübt wird.
2. Wird mit der Begutachtung der Tätigkeit des Steuerpflichtigen ein Sachverständiger beauftragt, so ist es in der Regel nicht erforderlich, daß er den Steuerpflichtigen einer Wissensprüfung unterzieht. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, wenn er feststellt, ob die Tätigkeit des Steuerpflichtigen so anspruchsvoll ist, daß sie der Tiefe und der Breite nach zumindest das Wissen eines Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzt.“

Zu den konkreten Inhalten des relevanten Berufsbildes stellt die Rechtsprechung das Folgende fest: „Die Tätigkeit eines Ingenieurs umfasst auch die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre Anpassung an die Bedürfnisse des Kunden, die rechnergestützte Steuerung, Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung und Verwaltung von Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen sowie die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa Benutzerservice und Schulung. Informatik-Ingenieure arbeiten u. a. auch in der Netz- und Systemadministration, sie beurteilen die Leistungsfähigkeit von Rechnernetzen oder bewerten die Energieeffizienz bestehender Systeme“ (BFH, Urteil vom 22. 9. 2009 – VIII R 31/07). „Typisch für das Berufsbild des Ingenieurs sind auch überwachende, kontrollierende und rein beratende Tätigkeiten, soweit sie nicht auf bloße Absatzförderung gerichtet sind“ (BFH 9.2.06, IV R 27/05, BFH/NV 06, 1270).

Zur Bestimmung der Kernbereiche des Ingenieurberufs rechnet der BFH (22.9.09, VIII R 31/07) im Einzelnen: Forschung und Lehre, Entwicklung, Konstruktion, Planung, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme und Instandhaltung, Vertrieb, Beratung, Versuchs- und Prüfungswesen, technische Verwaltung und Betriebsführung, Produktions- und Prozesssteuerung, Sicherheit, Patent- und Normenwesen.

Grundsätzlich gilt: „Weist ein Steuerpflichtiger, der über keinen Abschluss an einer (Fach-)Hochschule oder Bergakademie verfügt und als Systemberater auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung selbständig tätig ist, nicht nach, dass er in Breite und Tiefe das Wissen eines Diplom-Informatikers hat, ist er gewerblich tätig. Vertiefte Kenntnisse auf einem Teilgebiet des Fachstudiums reichen für eine freiberufliche Tätigkeit nicht aus“ (BFH Urteil v. 18.04.2007 - XI R 29/06 BStBl 2007 II S. 78).

Zum Nachweis erforderlicher Qualifikationen ist zunächst die Ausbildung zu belegen: Schulen, Fachschulen, Hochschulen, Fort- und Weiterbildungen mit Nachweisen. Von großer Bedeutung ist auch die Dauer der einschlägigen Berufsausübung. Darüber hinaus ist die zu prüfende Tätigkeit konkret und detailliert zu beschreiben einschließlich der Methoden und Verfahren. Weiterhin von Nutzen können sein: Arbeitszeugnisse, Referenzen, Publikationen, Lehrtätigkeiten, Lehrtätigkeiten und andere Leistungsnachweise. Einen besonderen Stellenwert können Projektberichte einnehmen. Finanzämter prüfen vor allem auch Verträge und Rechnungen.

Es gilt der Grundsatz der Einzelfallprüfung. Auf der Grundlage der vorliegenden Informationen können Ihre Chancen zur Einstufung als Freiberufler nicht näher bestimmt werden. Da Sie die fragliche Tätigkeit nebenberuflich ausüben, kann der Hinweis auf den Freibetrag bei der Gewerbesteuer in Höhe 24.500 Euro pro Kalenderjahr hilfreich sein.

Quelle:
Dr. Willi Oberlander
Unternehmensberatung

Stand:
Juli 2020

Tipps der Redaktion:

Hotline 030-340 60 65 60 Für allgemeine Fragen
Montag bis Donnerstag: 8:00 - 18:00 Uhr
Freitag: 8:00 - 12:00 Uhr
nach oben