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Beispiel aus der Praxis: Unternehmensnachfolge als berufliche Chance für Frauen
Einleitung
Die Unternehmerin Esther Straub berichtet, wie sie den erfolgreichen Schritt in die Unternehmensnachfolge der Brauerei Clemens Härle KG im Allgäu genommen hat.
Frauen etablieren sich immer stärker in der Unternehmensführung kleiner und mittlerer Unternehmen. Die jüngste KfW-Sonderauswertung des Mittelstandspanels für das Jahr 2022 zeigt: Jedes fünfte Unternehmen der etwa 3,8 Millionen mittelständischen Unternehmen wird von einer Frau geführt, das sind rund 757.000 KMU. Welche Ziele Frauen in der Unternehmensnachfolge verfolgen und wie sie arbeiten, charakterisiert der Erfahrungsbericht der Unternehmerin Esther Straub.
Esther Straub ist in gewisser Weise eine Pionierin. 2016 trat sie die Nachfolge der bisher stets inhabergeführten Traditionsbrauerei Härle an. Als erste Frau, mit 27 Jahren und ohne verwandtschaftliche Bande zur Inhaberfamilie will sie die Brauerei gemeinsam mit Gottfried Härle in eine erfolgreiche und zudem klimaneutrale Zukunft führen. Als Unternehmerin sei sie „sehr neugierig“, erzählt sie im Interview und erklärt, warum sie sich für mehr Frauenpower in der Unternehmensnachfolge einsetzt.
Frau Straub, Sie haben den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und bereits in jungen Jahren eine Traditionsbrauerei übernommen, die seit 1897 besteht. Ein ungewöhnlicher Schritt, oder?
Ja, tatsächlich ist mein Werdegang in die Selbstständigkeit nicht gerade Standard, da ich nicht die Tochter von Gottfried Härle bin. Ich komme nicht aus dem Unternehmerhaushalt der Brauerei. Ich bin das Nachbarsmädchen. Als Gottfried und seine Frau in unsere Nähe zogen – ich war fünf Jahre alt – waren wir zuerst nicht begeistert, da wir dachten, ein kinderloses Ehepaar hätte weniger Verständnis für spielende Kinder. Im Laufe der Jahre hat sich aber eine echte Freundschaft entwickelt und ich habe bereits während meiner Schulzeit in der Brauerei und der dazugehörigen Kleinkunstbühne mitgeholfen. So kam die Brauerei früh in mein Leben. Dass ich das Unternehmen einmal übernehme, war aber nie geplant. Ich habe zuerst an der Uni Passau Staatswissenschaften studiert. Zuhause haben wir aber viel über die Brauerei gesprochen und irgendwann dachte ich, dort zu arbeiten, wäre doch nicht so verkehrt. Schließlich habe ich Gottfried Härle gesagt, dass ich gerne einsteigen würde. Er hatte mich nie gefragt, da er keinen Druck aufbauen wollte. Ich habe aber geahnt, dass er das gerne haben würde.
Seit wann Sind Sie Geschäftsführerin und wie alt waren Sie bei der Übernahme?
2016 bin ich mit 27 Jahren eingestiegen, habe aber die ersten beiden Jahre noch parallel meinen Master am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen gemacht. Speziell die Bereiche Nachfolge sowie Strategie & Family Governance fand ich sehr lehrreich. Sich dort auch mit anderen Studierenden auszutauschen, die ein Familienunternehmen übernehmen wollen, hat uns das ein oder andere Problem im Unternehmen erspart.
Sie beschreiben die Brauerei Clemens Härle als „wirklich anders als alle anderen.“ Warum?
Ich weiß nicht, ob es schwäbische Sturheit oder Idealismus ist, wahrscheinlich ein Mix aus beidem. Es ist aber tatsächlich so, dass wir gerne Dinge tun, die wir richtig finden. Wir agieren nicht nur rein betriebswirtschaftlich nach Zahlen, sondern haben einen ökologischen und nachhaltigen Ansatz. Wir sind bereits seit 2009 – als erste Brauerei Deutschlands – klimaneutral. Das war noch vor dem Trend und bevor es Zuschüsse gab. 2010 zählten wir beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis zu den drei nachhaltigsten Unternehmen hierzulande. Wir arbeiten mittlerweile ausschließlich mit regenerativen Energien, haben dafür den Deutschen Solarpreis erhalten und bekennen uns zur Region und damit zu kurzen Transportwegen. Unsere Braugerste stammt ausschließlich aus dem Umland, was es manchmal auch schwieriger macht, da uns aufgrund der Fruchtfolge manche Landwirte nur alle zwei Jahre beliefern können. Wir handeln mehr aus Überzeugung als aus monetären Aspekten. In Zeiten des Klimawandels ist es wichtig, nicht nur verantwortungsvoll zu wirtschaften, sondern auch verantwortungsvoll zu handeln. Mein Ziel ist es, die Brauerei zu erhalten und sie ebenfalls an die nächste Generation zu übergeben. Das kann ich nicht, indem ich die Brauerei als Insel betrachte, sondern indem ich sie als Netzwerk sehe. Ein Netzwerk aus Lieferanten, Kunden, Natur, Umwelt und dem Klima, um das ich mich gut kümmern muss.
Der Prozess einer Unternehmensübergabe ist nicht einfach. Gab es Konflikte bzw. Reibungsflächen zwischen alten und neuen Herangehensweisen?
Ich kann nichts Dramatisches erzählen. Gottfried Härle entstammt zwar einer Brauereitradition, der er verbunden ist, insgesamt sind wir aber beide offen für Neues. In der Tradition leben und mit Begeisterung Neues unternehmen, ist die Devise von Herrn Härle. Ich kann mich auch mit der Tradition, speziell mit unserem alten Brauhaus, das es seit 1897 gibt, bestens identifizieren. Ich bin sehr froh, dass wir uns nicht nur privat gut verstehen, sondern auch auf Augenhöhe zusammenarbeiten können. Das ist nicht selbstverständlich. Wir haben tatsächlich auch nicht diesen einen Termin vereinbart, an dem er komplett aufhört und nicht mehr ins Büro kommt. Ich hoffe, ich kann noch lange von ihm profitieren. Wir kommunizieren viel und haben beide eine große Leidenschaft für das Unternehmen. Wir sind froh, dass der andere da ist. Ich schätze seine Erfahrung und er neue Impulse. Es ist ein Privileg, sich auf Augenhöhe austauschen zu können und die gegenseitige Wertschätzung zu spüren. Er besteht auch trotz seiner Erfahrung nicht darauf, das letzte Wort zu haben und erlaubt es mir so, mich weiterzuentwickeln. Ich sage auch gerne, zu zweit ist man cleverer als allein.
Ihr Vorgänger hat sie so erfolgreich bei der Unternehmensübernahme begleitet, dass er dafür den she succeeds-Award 2021 des Verbandes deutscher Unternehmerinnen (VdU) erhalten hat. Von welchen Eigenschaften Gottfried Härles haben Sie am meisten profitiert?
Vor allem von seinem Vertrauen. Und von seinem Mut. Der Award, der vom Bundeministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in einem Modellprojekt der BMWK-Initiative „Unternehmensnachfolge-aus der Praxis für die Praxis“ gefördert wird, zeichnet erfolgreiche interne und externe Nachfolgerinnen aus. Es ist der einzige Preis in Deutschland, der erfolgreiche Unternehmensnachfolgen von Frauen herausstellt. Er würdigt auch die Wegbereiter, also die Alt-Inhaber. Wir haben in der deutschen Wirtschaft das Problem, dass es doch sehr wenige Frauen gibt, die Unternehmen übernehmen. Der VdU steht sinnbildlich für mehr weibliche Nachfolge.
Das Vertrauen, das mir Gottfried Härle entgegengebracht hat, als externe, junge Frau ein Traditions- und Familienunternehmen in einer von Männern dominierten Branche zuzutrauen, ehrt ihn und macht mich stolz. Er hat mich auch schon früh in Fragen rund um Marketing, Strategie und Personal miteinbezogen und so das Band ganz ohne Druck gestärkt. Die Übergabesituation an mich als Patchwork-Familienunternehmen ist doch speziell. Im Nachhinein hört es sich an, als wäre mir das Unternehmen auf dem Silbertablett präsentiert worden. Das war aber nicht so! Ich war zu der Zeit im Auslandssemester meines Studiums und ich habe den Anruf von zuhause gebraucht, um zurückzukommen. Dann habe ich gesagt, dass ich es mir erstmal ansehe und definitiv noch zu Ende studieren will, um mehr Fachkenntnis zu bekommen. Was mich an Gottfried Härle inspiriert, ist, dass er ein großartiges Vorbild ist. Vor allem darin, seinen eigenen Kopf nicht zu verlieren. Er sagt immer, er gibt seine persönlichen Werte nicht an der Unternehmenstür ab, und das finde ich sehr mutig. Ich kenne wenige Unternehmerinnen und Unternehmer, die das so durchziehen. Dadurch lerne ich sehr viel und es macht mir selbst Mut, mich für Themen einzusetzen. Sein Verdienst ist es auch, dass unser Unternehmen grün ist, nicht nur das Marketing.
Was hat sich konkret geändert, seit Sie im Unternehmen tätig sind?
Wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter miteinander sprechen, ist mir sehr wichtig. Die Themen Fortbildung sowie Frauenförderung sind bei mir mehr im Fokus als in der Vergangenheit. Wir haben inzwischen drei Brauerinnen und halten Workshops speziell zur Absicherung von Frauen ab, denn Altersarmut ist weiblich.
Die Unternehmensführung in Schwaben ist im Durchschnitt 50,8 Jahre alt und männlich. Sie sind die erste „Externe“ sowie die erste Frau und als Chefin noch dazu sehr jung. Wie gehen Sie bzw. die Mitarbeitenden damit um?
Vielleicht überraschend, aber es gibt keine Probleme. Im Gegenteil, als wir meine Nachfolge verkündet haben, gab es intern nur positives Feedback. Ich merke aber extern schon, was wahrscheinlich vielen Frauen in Führungsrollen passiert, dass manche zuerst irritiert sind, mir einiges vielleicht nicht zutrauen. Ich werde aber lieber unter- als überschätzt. Damit müssen sich wohl viele Frauen auseinandersetzen. Ich bin inzwischen recht schlagfertig, das hilft. Aber das hat ein bisschen gedauert. Oft sind es die klassischen Rollenklischees. Sowohl Männer als auch Frauen gehen manchmal unterbewusst davon aus, dass Frauen eher helfend, also ohne Führungsverantwortung, in einem Unternehmen tätig sind. Wenn ich sie darauf anspreche, bekomme ich oft die Antwort: „Stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.“
Was raten Sie denen, die einen Betrieb übernehmen oder gründen wollen?
Ich würde sagen: sich trauen. Also, die Dinge angehen und bereit sein, notfalls im Prozess gegenzusteuern. Es ist menschlich und vielleicht auch mehr weiblich, dass man zweifelt. Ich würde jedem und jeder raten, sich zu trauen, neugierig zu bleiben und die Dinge einfach anzugehen.
Wie geht es mit Ihrem Unternehmen weiter? Welche Pläne haben Sie?
Wir leben nicht für den Gewinn, sondern wollen wirklich etwas bewegen. Wir werden den Ökoanteil unserer Brauerei weiter ausbauen. Ich werde auch weiter investieren, um noch energieeffizienter zu werden. Auch unser Tandemkonzept als Nachfolgestrategie werden wir noch lange beibehalten, genau wie unsere Grundhaltung zur Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen wie unternehmerischen Verantwortung.