Antwort
Gerne beantworte ich Ihre abstrakte Fragestellung mit einer ersten Grundorientierung ohne Anspruch auf Einschlägigkeit und Vollständigkeit, soweit dies möglich ist.
Die Thematik, ob natürliche Personen sich vor der Scheinselbstständigkeitsthematik dadurch schützen können, dass sie eine Ein-Mann-Gesellschaft gründen, bei der sie der alleinige Gesellschafter-Geschäftsführer sind und gleichzeitig die einzige arbeitende Person sind, ist höchstrichterlich per Stand heute am Tag der Beantwortung Ihrer Frage, also am 8.6.2023, noch nicht geklärt. Beim Bundessozialgericht ist unter dem Aktenzeichen B 12 R 15/21 R dazu ein aktuelles Verfahren anhängig. Das Bundessozialgericht schreibt dazu auf seiner Webseite: B 12 R 15/21 R.
Ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag über stationäre Pflegedienstleistungen zwischen einer Ein-Personen-GmbH und einer Krankenhausgesellschaft als Scheingeschäft aufgrund eines Missbrauchs der Rechtsform nichtig und begründet somit ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers einer Ein-Personen-GmbH mit der Krankenhausgesellschaft.“
Für die aktuelle Lage sollten Sie folgendes somit bedenken: Eine Ein-Mann-GmbH oder eine Ein-Mann-UG (haftungsbeschränkt), die fast nur für einen Auftraggeber Dienstleistungen erbringt, so dass die natürliche Person, der die Ein-Mann-Gesellschaft gehört, faktisch wie ein weisungsgebundener Arbeitnehmer tätig ist, sollte vorsorglich in einem Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund klären lassen, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht.
Dann besteht kein Risiko, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund ein Umgehungsgeschäft der Gesamtsozialversicherungspflichtigkeit später feststellt und entsprechende weitreichende Konsequenzen dann auch mit Rückwirkung für die Vergangenheit eintreten. In Ihrem Fall würde die Auftraggeber-GmbH somit die Beiträge für Sie – auftretend in der Rechtsform einer UG (haftungsbeschränkt) – dann nachzahlen müssen, wenn die Statusfeststellung ergibt, dass eine Scheinselbstständigkeit gegeben ist.
Bei der Scheinselbstständigkeit sind immer Auftraggeber (in Ihrem Fall die GmbH, an der Sie beteiligt sind) und Auftragnehmer (in Ihrem Fall Ihre Ein-Mann-UG (haftungsbeschränkt)) verantwortlich für die Vermeidung von Scheinselbständigkeit.
Untersucht werden bei einem Statusfeststellungsverfahren konkret zum Einzelfall alle klassischen Kriterien der Scheinselbststständigkeit. Diese sind u.a.:
- wirtschaftliche Abhängigkeit,
- Weisungsgebundenheit,
- faktische feste Eingliederung in die Infrastruktur und die Verfahrensabläufe im Auftraggeber-Unternehmen,
- Arbeitserbringung an einem oder mehreren Standorten der Auftraggeber-GmbH (Sitz-Identität bei Ihren Unternehmen?),
- Motivation beim Beginn der Zusammenarbeit,
- Motivation bei der Gründung der GmbH und bei der Gründung der Ein-Mann-UG (haftungsbeschränkt),
- Satzungen der beiden Gesellschaften,
- Machtverhältnisse in der Auftraggeber-GmbH,
- die vertraglichen Rechtsbeziehungen zwischen den beiden Gesellschaften,
- die faktischen Verhältnisse bei der Tätigkeitserbringung,
- die Frage, ob ein Urlaubsanspruch besteht und ob es Absprachen von Urlaubszeiten mit der Auftraggeber-GmbH gibt.
Ferner wird geprüft, ob:
- eine Fortzahlung von Vergütung auch bei Urlaub, Krankheit etc. durch feste Bezüge, Monatsgrundpauschalen etc. gegeben ist,
- Reportingpflichten gegenüber der Auftraggeber-GmbH bestehen,
- es ansonsten keine Beschäftigung eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers bei der Auftraggeber-GmbH gibt,
- kein Einsatz von eigenem Kapital bei der Auftragnehmer-UG (haftungsbeschränkt), kein eigenes Risiko und kein Geschäftsauftritt mit Webseite bei der Auftragnehmergesellschaft gegeben ist und vieles mehr.
Der Umstand, dass Sie selbst mit 44 % an der Auftraggeber-GmbH beteiligt sind und somit maßgeblich ggfs. verantwortlich sind für die Rechtssituation mit der Gefahr eines Umgehungsgeschäftes, indem Sie insbesondere sich selbst als UG (haftungsbeschränkt) das unternehmerische Risiko und die Gefahr von Verlusten, die für echte Selbstständigkeit sprechen, abnehmen, weil Sie gleichzeitig als Chef für sich über die Auftraggeber-GmbH tätig sind, wird zu einer besonders gründlichen Überprüfung führen. Ihre Überlegung, die Höhe Ihrer Beteiligung an der Auftraggeber-GmbH nachträglich mit dem Zukauf oder dem Verkauf von Geschäftsanteilen auf 50 % oder 20 % zu verändern, wird an den Fakten, wie die Rechtslage zum Zeitpunkt des Beginns der möglichen Scheinselbstständigkeit aussah, nichts ändern.
Die Untersuchung beim Statusfeststellungsverfahren beginnt üblicherweise bei dem Start der gegebenenfalls versicherungspflichtigen Zusammenarbeit zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer unter Heranziehung von vorangegangenen Gründungsumständen bei den betroffenen zwei Gesellschaften. Änderungen Ihrer Geschäftsanteile könnten ggfs. dann noch mehr als Bestreben, die Gesamtsozialversicherungspflicht mittels Umgehungsgeschäftes zu vermeiden, wirken, das ist aber natürlich Ihre Entscheidung.
Abgesehen davon sind Sie, wie bereits oben ausgeführt, bereits über die UG (haftungsbeschränkt) in der Verpflichtung, nicht an einem rechtswidrigen Umgehungsgeschäft zur Sozialversicherungspflicht mitzuwirken, dies noch dazu, wenn Sie – wie Sie mitteilen – einen juristischen Staatsexamensabschluss und die Befähigung zum Richteramt und zur Anwaltszulassung haben. Bei der GmbH wird es u.a. auch darauf ankommen, ob Sie dort der Geschäftsführer sind und ob Sie der faktische Alleininhaber sind und die übrigen 56 %-Geschäftsanteile nur formaliter z.B. von Verwandten oder Unterhaltsberechtigten von Ihnen gehalten werden etc.
Die vorstehenden Ausführungen entsprechen der aktuellen vorsorglichen Beratungspraxis per Stand 8.6.2023 (Beantwortungstag). Je nachdem, was das Bundessozialgericht in der eingangs erwähnten Entscheidung oder in anderweitigen Entscheidungen erklären wird, kann dann eine ganz neue Rechtslage gegeben sein.
Soweit Sie weitere Geschäftszweige betreiben wollen wie z.B. die Zulassung als Anwalt oder die Eröffnung einer Anwaltskanzlei kommt es auf die Einzelheiten an, wie sich die Gesamtsituation aus der Sicht der Deutschen Rentenversicherung Bund dann darstellt. Sofern Sie schwerpunktmäßig eine Anwaltskanzlei führen würden und dann nennenswerte Einkünfte aus zweifelsfrei echter selbständiger Tätigkeit haben würden und in die Pflichtaltersversorgung für Rechtsanwälte einzahlen würden, würde dies beim Statusfeststellungsverfahren zu den Einkünften der UG (haftungsbeschränkt), die im Marketing tätig ist, sicher berücksichtigt werden.
Im Vordergrund sollte für Sie stehen, dass Sie für eine sehr gute Altersversorgung und soziale Absicherung für sich selbst sorgen und dass Sie aufgrund Ihrer Verantwortung für Ihre beiden Unternehmen, zu denen Sie eine Fürsorge- und Treuepflicht als Gesellschafter haben, ganz abgesehen von Ihren Geschäftsführerpflichten bei der Auftragnehmer-UG (haftungsbeschränkt) und ggfs. bei der Auftraggeber-GmbH, wenn Sie dort auch Geschäftsführer sind, alle gesetzlichen Vorschriften einhalten, was Sie durch ein Statusfeststellungsverfahren schnell feststellen lassen können.
Update:
Das Bundessozialgericht hat am 20.7.2023 in drei Revisionsverfahren (Aktenzeichen B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R und B 12 BA 4/22 R) entschieden, dass eine „vorgeschobene“ Ein-Mann-Gesellschaft im Einzelfall nicht die Thematik der Scheinselbstständigkeit wirksam umgeht. Das bedeutet, dass damit die Ein-Person-Gesellschafter-und-Geschäftsführer-Person wie ein abhängiger Arbeitnehmer zu beurteilen ist. Es komme aber immer auf den Einzelfall an. Die ausführlichen Begründungen in den Entscheidungen werden nun noch abzuwarten sein.
Quelle:
Dr. Babette Gäbhard
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
DR. GÄBHARD RECHTSANWALTSKANZLEI
Stand:
Juni 2023
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